Zur Ostsee fahren: „Hilke ist tot!“ – Nachklang

In Verbundenheit mit Hilke öffne ich heute, an ihrem erstem Todestag, den Schreibraum und Lesesaal.

Für mich. Für dich und euch. Für uns.

Mit meiner Geschichte von Hilkes Tod, meiner Trauer und dem Trost, den mir das Johanniskraut, mein Körper und die Ostsee so reichlich haben zufließen lassen.

Woran mich die Ostsee erinnert: Eigensinnig trauern.

Das braucht Raum.
Raum geben mir Menschen, die dem Eigensinn der Trauernden vertrauen. Darauf, dass die Trauernde und die eigens für sie sinnhafte Trauer zueinander finden werden.
Raum im Innern macht empfänglich für die Helfer, die sich anbieten. Eine Heilpflanze, mein Körper, eine Landschaft. Er entsteht, indem ich leer werde. Während ich atme, absichtslos gehe oder barfuß laufe.

Mit dem Trauern erfolgt Trost.

Wie trauerst du?
Wer und was tröstet dich?
Wie erfährst du diesen Trost?

5 Gedanken zu „Zur Ostsee fahren: „Hilke ist tot!“ – Nachklang#8220;

  1. Liebe Silja!
    Wenn nicht die Trauer, was dann ist ein ganz persönlicher Raum.
    Meine Trauer um meine Freundin begann im Prinzip schon 13 Jahre vor ihrem Sterben, denn mit der Diagnose ging ein Stück Leichtigkeit von uns allen bereits voran, dem Ende entgegen.
    Es war im Prinzip klar, dass sie, wenn übergaupt, mit der Chemo „nur“ Zeit gewinnen würde. Ein Leben in Freude und Zuversicht schien schon lange vor ihr gestorben zu sein.
    Auch wir haben viel gemeinsam geweint, ein enger Kreis von Freundinnen hat sie durch vier Chemos begleitet – und es schien bis zuletzt möglich, dass sie zumindest auch weiterhin mit ihren alternativen Methoden würde überleben können.
    Dann kam Corona und die Impfung, die sie eigentlich nicht wollte, zu der sie sich von der Familie hat drängen lassen (auch eines ihrer Lebensthemen, sich immer wieder drängen lassen … für den eigenen Weg nicht gut einstehen können).
    Ein halbes Jahr nach der zweiten Impfung haben wir sie zu Grabe getragen.
    Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Tränen mehr – zu sehr hat uns alle ihr Leiden geschmerzt – am Ende war es Erleichterung, dass sie sich nicht weiter quälen muss.

    So unendlich viel gelernt und viele neue Verbindungen, die uns ihr Sterben geschenkt hat … das hat die Trauer abgelöst.

    Die Begleitung durch alle Höhen und Tiefen, mit ihrer Wut und Enttäuschung umzugehen, manchmal auch mit den ungerechten Verurteilungen und den hohen Ansprüchen, die sie an uns gestellt hat, hat mich eines gelehrt:
    „Es gibt immer gute Gründe, auch für scheinbar ungutes Verhalten“ – Wer bin ich, über die Entscheidungen und den Schmerz anderer Menschen zu urteilen, nur weil ich vielleicht anders entschieden hätte?
    Wir handeln immer aus unserem gerade präsenten Repertoire heraus – und ich kenne nur meins, nur meine Geschichte und wenn ich Glück habe, meine blinden Flecken. Mein Körper hat mir seit Jahren deutlich gesagt, was los ist, wo ich hinschauen darf. Und ich habe Jehre gebraucht, um sein lautes Rufen zu vernehmen.
    Ich bin dankbar, dass ich das verstanden habe und diesen Weg beschreite, in der Hoffnung, die Botschaften richtig zu deuten. Und ich gebe mein Wissen mittlerweile auch weiter, wenn es gefragt ist.

    Wie schön, dass du diesen Raum geöffnet hast, denn solche Möglichkeiten gibt es noch viel zu wenig.

    In herzlicher Verbundenheit
    Imke

    • Liebe Imke,

      13 Jahre, vier Chemos und zwei Impfungen. So lang hast du und habt ihr im engen Freundinnenkreis deine beste Freundin begleitet. Kostbar für alle Beteiligten, so vermute ich. Und kräftezehrend.

      Liebe Imke, um Himmels willen, woher hattest du die Kraft? Was war deine Quelle?
      Und wer hat dich begleitet? Wer euch? Ihr euch gegenseitig?

      Auch berührt mich, dass du als Begleiterin geblieben bist, bei allen Unterschieden und Zumutungen. Bei ihr und bei dir. Deine Freundin ihren Weg hast gehen lassen und deinen Weg gegangen bist. (Lose Assoziation im Schreiben: „Hold me“ von The Teskey Brothers.)

      In mir klingt: (Auch) der Tod lässt uns Leben lernen. (Auch) der Tod schenkt uns Leben.

      Und. Tod in Freundschaften. Gute drei Monate nach Hilkes Tod nahm ich am Bohana-Onlinekongress #trauerimleben teil. Unerwarteter Trost, als der Beitrag „Über Trauer in Freundschaften“ auftauchte.

      Du sagst, dass du dein Wissen weitergibst, „wenn es gefragt ist“. In meiner Wahrnehmung schafft das einen offenen, weiten und ermöglichenden Raum. Einen solchen erlebte ich, als ich dein Video sah. Mit deinen Anregungen konnte ich meinen eigenen Körperweg, Trauerweg und Trostweg weitergehen.

      Auf die Freundschaften, die offenen Räume und das Körperhören. Und die neuen Verbindungen.

      Verbundene Grüße
      Silja

      • Liebe Silja,
        ja, lange 13 Jahre, furchtbare vier Chemos und zwei überflüssige Corona-Impfungen.
        Und ja – kostbar für alle Beteiligten, wenn auch vor allem am Ende kräftezehrend. Irgendwann, als klar war, dass es nur noch darum gehen konnte, den Abschied so würdevoll wie möglich zu gestalten, war ganz oft der Punkt da, irgendwie auch eine Pflicht zu erfüllen, ihr diesen letzten Gang nicht noch schwerer zu machen.

        Woher ich die Kraft genommen habe? Das kann ich nicht verlässlich beantworten. Wir kannten uns 37 Jahre, haben im Studium zusammen gewohnt, so manche Nacht durchgemacht, sie war meine Trauzeugin und wäre, wenn wir Kinder gehabt hätten, ganz sicher deren Patentante gewesen. In ihrer Begleitung habe ich die ersten Schritte in Sachen ganzheitlicher Medizin und spirituelle Erfahrungen gemacht, wir konnten über alles reden und sind oft für Schwestern gehalten worden, weil wir energetisch miteinander verbunden waren.
        Um so größer auch der Schock, als die Diagnose in ihr Leben schoss …
        Die Phasen, in denen es ihr gut ging (zwischen der ersten und der zweiten Chemo lagen hoffnungsvolle 6 Jahre, in denen selbst ihr Onkologe eine Heilung für möglich gehalten hat), waren voller Wunder – und dann plötzlich wieder ein Rezidiv – kaum auszuhalten, schmerzhaft und alle Hoffnung dahin. Diese guten Phasen wurden kürzer, aber immer war da die Hoffnung, dass sie es schaffen kann. Bis zuletzt hat uns diese Hoffnung immer wieder getragen.
        Als klar war, dass sie es nicht schaffen würde, weil die Impfungen ihrem Körper den Rest gaben, waren wir als Freundinnenkreis so weit zusammengewachsen, dass wir uns auf wunderbare Weise ergänzten. Trotzdem konnten wir ihr den letzten Wunsch, zu Hause zu sterben, nicht ermöglichen, denn dafür waren wir alle nicht ausgebildet. Wir waren ja nur ihre Freundinnen.
        Und wir waren tatsächlich ihre Freundinnen, denn auch wenn wir sie nicht zu Hause begleiten konnten, waren wir trotzdem für sie da. Eine Krankenschwester auf der Palliativstation meinte, sie hätte in ihrer langen Laufbahn noch nicht erlebt, dass ein Freundinnenkreis die letzte Phase so intensiv begleiten würde. Das hat uns auch ein bisschen stolz gemacht, denn wir sind dabei alle an unsere Grenzen gekommen und über sie hinausgegangen – auch eine wertvolle Erfahrung.
        Wir haben – auch das ein Geschenk, bis zuletzt über alles gesprochen, gemeinsam mit Kerstin über die Beisetzung und Trauerfeier geredet und diese vorbereitet (kann ich nur jedem empfehlen, denn die eigenen Wünsche erfüllt zu wissen, macht es tatsächlich leichter) und sind als Freundinnenkreis den letzten Weg mit ihr gemeinsam gegangen.
        Mit zwei dieser Frauen, die ich vorher nur oberflächlich kannte, verbindet mich heute eine innige Freundschaft, von der wir alle sagen, dass es diese ohne Kerstin nicht gegeben hätte.

        Ich habe meine beste Freundin aber durch den Tod nicht verloren … ich habe sie als Geschenk in mein Leben bekommen und vieles von dem, was mir heute so „normal“ erscheint, habe ich erst durch sie kennen- und schätzen gelernt. Sie ist also immer auch präsent. Den Prozess des Sterbens zu begleiten hat mich überdies reifen lassen. Das lässt mich heute viel gelassener auf Leben und Tod schauen.
        _________________________________________
        Liebe Silja,
        hab herzlichen Dank für dein Feedback, was meine Videos betrifft. Ja, genau dafür sind sie da! Sie können Impulse geben für den eigenen Weg – es freut mich sehr zu hören, dass meine Erfahrungen, die ich auch in meinen Büchern veröffentlicht habe, diese Möglichkeit für dich geboten haben.

        🙂 und ja, auf die Freundschaften, die offenen Räume und alles, was uns geschenkt wird!

        Herzensgrüße
        Imke

  2. Liebe Silja,

    „Eigensinn der Trauernden“ — was für ein schöner Ausdruck!
    Das ist eine Intention, die ich mitnehme: mehr Eigensinn zulassen!

    Und: die heilsame Leere. Ich finde sie in mir in der Meditation.

    Liebe Grüße
    Sybille

    • Liebe Sybille,

      das freut mich sehr!
      Kennst du Hermann Hesse (1917): „Eigensinn“? Mein Lieblingstext zum Thema.

      Manchmal erlebe ich das Barfußlaufen als Meditation in Bewegung.

      Liebe Grüße
      Silja

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